Pale Jay HHV Records 11 Artikel

Musik als Katalysator des Unbewussten

Über den popkulturellen Einfluss von John Coltranes legendärem Jazz Album A Love Supreme lässt sich so einiges sagen – über die Obsession der 68er-Hippies mit der Platte und sein Einfluss auf die Rockmusik bis hin zur oftmaligen Krönung zur besten Jazz-Aufnahme aller Zeiten: es gibt nur eine Handvoll Alben, die Generationen so nachhaltig verändern. Manchmal reicht ihr Einfluss so weit, dass ihre Ausstrahlungskraft ausreicht, um Karrieren zu begründen – so wäre das im Fall des Soul Musikers Pale Jay. Seine musikalische Energie hat der maskentragende Newcomer laut eigener Aussage einer tranceartigen Hörerfahrung des Jazz-Klassikers zu verdanken: ein schwerer Unfall auf dem Fahrrad bindet den ausgebildeten Sänger und Pianisten ans Krankenhausbett, und während einer Notoperation legt der Chirurg A Love Supreme auf. In einem surrealen Zustand zwischen Schlaf und Wachzustand entsteht die Idee für eigene Songs – etwas, das als direkter Katalysator des Unbewussten in die Welt gebracht werden soll und das Unberührte, Schuldlose in den Mittelpunkt stellt. Als weitere Einflüsse nennt der Kalifornier Virtuosen wie J Dilla und Donny Hathaway, verortet sich selbst irgendwo zwischen den Soul-Stimmgiganten des 20. Jahrhunderts und ebenjenen Produzenten, die das Alte verehren und in eine neue Welt transportieren.

Soulful, staubig und direkt aus dem Herzen

Viel ist über den US-Amerikaner Pale Jay nicht bekannt. Eine rote Skimaske verdeckt das Gesicht des ambitionierten Songschreibers und Producers, es ziert die schlichten Cover, hat künstlerisch aber nur wenig mit dem einen oder anderen Maskenrapper zu tun, an den der Stoff erinnert. 2021 nimmt seine Karriere mit der im Heimstudio gebastelten Single Dos Uvas Fahrt auf, ein sich an den 90ern orientierender Beat unterlegt warme Gitarren und schimmernde Synthesizer – mit einer Soul-Stimme, die sich im Falsetto wohlfühlt und uns mühelos in eine Sphäre katapultiert, in der die späten 60er und die Drum Machines der 90er koexistieren und einander ergänzen. Inmitten der Coronapandemie 2021 arbeitet Pale Jay längst als Musiker für den Onlinemarkt und versucht sich jetzt auch mit der zweiten Single Shameful Game an seinem neuen Projekt: „Soulful, staubig und direkt aus dem Herzen“, so beschreibt er den Sound. Die Debut-EP The Celestial Suite erscheint im gleichen Jahr und präsentiert sich in einer Weise, wie man sie von einer alten Kassette erwarten würde, die sich nach Jahrzehnten der Vergessenheit wieder auf dem Dachboden anfindet und sich als Jackpot herausstellt. Auf dem danach erschienenen Remix des Tracks Donny In Valdez leiht ihm der Rapper Erick the Architect seine Stimme – Pale Jay beweist sich hier als vielversprechender Produzent im Stil von Legenden wie Madlib und J Dilla: versatil, traditionsbewusst und nostalgisch.

Harmonien aus einem Traum

Mit Bewilderment kündigt der maskentragende Musiker für August 2023 sein Debutalbum an – übersetzt heißt das Fassungslosigkeit, und es beschreibt den emotionalen Zustand ganz gut, in dem Pale Jay sich zur Zeit der Aufnahmen befindet. In seiner Labelheimat Karma Chief Records lässt der Kalifornier sich auf den Tracks über die Entfremdung von der eigenen Familie aus, die graduell über die Jahre geschieht. Kommunikationsschwierigkeiten, Streit, Identitätsfindung – all das wird in den eigenhändig produzierten Songs des Newcomers gespiegelt und in gewohnter Soul-Manier auf warmen Beats verewigt. Kleine Kunstwerke wie Dreaming In Slow Motion zeigen den Falsetto-Liebhaber aus teils orchestraler Perspektive, der Namensgeber des Albums verliert sich in Gesangsharmonien, die wie aus einem Traum wiederhallen. Hier und da wird mit Afrobeat und Disco Anleihen gespielt, die Lyrics zeichnen romantische Szenarien und offenbaren einen verletzlichen Songwriter. Die Identität der neuen Indie-Entdeckung bleibt dabei erstmal offen – sie weckt zwar Neugier, eine bedeutende Rolle spielt sie allerdings kaum. Dafür ist Pale Jays Musik zu bedeutungsgeladen, zu hypnotisch.