Retrogott & Hulk Hodn HHV Records 11 Artikel

Lieber fresh und unbekannt

Zu Beginn der 2000er Jahre entschließen sich der Rapper Kurt Hustle und der DJ Hulk Hodn, im Namen der Realness gemeinsame Sache zu machen: das Duo Huss & Hodn hat sich dem Hip-Hop im Oldschool-Gewand verschrieben, die Goldene Ära ist dabei das oberste Soundprinzip und die Texte einwandfreier Battlerap. Erste Schritte gehen die beiden 2005 mit dem Album Unprofessionelle Musik und machen schon im Titel klar, dass sie sich selbst nicht allzu ernst nehmen – neben Hustles trockenem Flow ist hier sogar der frühe Sylabill Spill zu hören. 2007 schlägt das dynamische Duo mit der Platte Jetzt schämst du dich! Wellen in der Szene – da knistern die Vinyl-Beatsamples, und gekonnt reduziert bieten sie eine perfekte Heimat für die Lines des MCs, der seine Independent-Stellung klarmacht und sich vom Mainstream-Rap distanziert: „Anstatt zu faken bleib‘ ich lieber fresh und unbekannt“. Das namhafte Hip-Hop-Magazin JUICE erhebt die LP zur Demo des Monats und verschafft den beiden Kölner Newcomern einen ordentlichen Hype im Untergrund – und als Partner des Indie-Vertriebs Groove Attack veröffentlichen sie ihre Werke beim eigenen Crew-Label Entourage. Vom ersten Track an sind Kurt Hustle und Hulk Hodn gestandene Indiekünstler, und das soll auch so bleiben.

Mit einer gesunden Prise Gesellschaftskritik

Die Einflüsse reichen von MF DOOM und J Dilla bis hin zu den Beginnern und den Stieber Twins – was dabei herauskommt, ist experimentell anmutende, oft assoziative Lyrik, gepaart mit einem Tauchgang in die Funk- und Jazz-geprägten Bauelemente einer Hip-Hop-Zeit, die nostalgische Störsignale in die Sphären des hochglanzpolierten Mainstream-Raps sendet. Dabei ist das Prinzip laut Kurt Hustle simpel: „Heutzutage denken alle, dass du Oldschool bist / Wenn du dich nicht an Dresscodes hältst und nicht die Stimme verstellst“ – so definieren Huss und Hodn ihre Authentizität auf der 2009er Platte Der Stoff, aus dem die Regenschirme sind. Fernab vom Kommerz und mit einer gesunden Prise Szene- wie Gesellschaftskritik – das kommt nicht nur auf den Festivals gut an, deren Einladungen die beiden jetzt allerhand kassieren. Mit Fresh und umbenannt folgt 2013 die Namensänderung in Retrogott & Hulk Hodn, die Attitüde bleibt die gleiche – unbekümmert und selbstbewusst erzählt der Retrogott uns ganz offen, was er von den allermeisten deutschen Rappern hält: „Ich hab‘ die Wackness nicht bestellt / Schickt sie zurück an ihren Absender“. Doch auch kritische Selbstreflexion sowie die philosophische Erwägung sozialer Missstände spielen eine Rolle: „Sklaverei und Globalisierung sollten zwei unterschiedliche Sachen sein / Der Mensch und der Orang-Utan sollten zwei verschiedene Affen sein“.

Sprachjongleur und Kopfnicker

Das Spektakel um Retrogott & Hulk Hodn spielt sich aber nicht nur im Studio ab – auf ihren Konzerten verkaufen die beiden 2016 die exklusive Platte Sezession! und liefern ihren gewohnt einzigartigen Battlerap-Stil. Der Nachfolger KONTEMPORÄRKONTAMINATION erscheint 2018 und fasst bereits in seinem Titel Retrogott als den Sprachjongleur zusammen, der er ist. Neben gewohnt warmen 90er-Samples wird auf dem namensgebenden Track über einen elektronisch-manisch induzierten Beat gespittet, der für die Sorgen der verwöhnten Upper Class kein Erbarmen hat: „Alle auf der Suche nach Geborgenheit und Wärme / Doch was interessieren mich depressive Millionäre?“ Dass Retrogotts Standpunkte und daher auch seine Lyrics sich über die Jahre gewandelt haben, machen die Platten Land und Leute sowie Der Urlaub hat nicht stattgefunden klar – während früher noch sexistische und homophobe Ausdrücke die Texte des Battle-Urgesteins prägten, distanziert er sich heute davon und macht klar: „Sensitiv, weil ich Gewalt ablehne“. Stattdessen verlagert sich der Schwerpunkt der Tracks aus dem Hause Retrogott & Hulk Hodn auf gesellschafts- und globalkritische Themen sowie alles andere, was laut dem rappenden Teil des Duos falsch läuft. Der andere Teil sorgt fürs Kopfnicken, und das wird hoffentlich noch eine ganze Weile weitergehen.