Boards Of Canada HHV Records 8 Artikel

Trip-Hop und Soundcollagen

Das Brüderpaar Michael Sandison und Marcus Eoin wächst in den 70er und 80er Jahren im schottischen Edinburgh auf. Umgeben von einem musikalischen Haushalt experimentieren die beiden in Jugendjahren mit Super-8-Filmbändern und komponieren eigene Stücke für ihre visuellen Werke. Nach verschiedenen Bandprojekten landen sie schließlich in einer Band mit dem Namen Boards of Canada – der Name ist dem National Film Board of Canada entnommen, dessen Dokumentationsfilme sie in ihrer Kindheit begleitet haben, und immerhin haben sie vorher ein Jahr lang im kanadischen Calgary bei ihrem Vater verbracht. 1987 ist die Band nur noch auf die beiden Brüder zusammengeschrumpft, und sie bringen eine Reihe an Tapes im Eigenverlag heraus, erstmal nur für den engsten Familien- und Freundeskreis. Neben diesen Releases finden sie sich mit anderen kreativen Köpfen Edinburghs im Künstlerkollektiv Hexagon Sun zusammen, welches mit eigens organisierten Shows die lokale Szene aufmischt. Mit ihrer EP Twoism trauen die Boards of Canada sich 1995 schließlich an die Öffentlichkeit: dort verschränken sich Trip-Hop-Beats mit nostalgischen Soundcollagen, und durch ihre ausgereiften Electronic-Variationen ziehen sie die Aufmerksamkeit des in Manchester ansässigen Indielabels Skam Records auf sich. Ihr legendärer erster Langspieler Music Has the Right to Children erscheint im Jahr 1998 und krempelt die Landschaft der elektronischen Musik grundlegend um.

Die Vorreiter des Experimentellen

Die Platte wird zur Blaupause des elektronisch Experimentellen in den Folgejahren, und die Boards of Canada werden in John Peels Radioshow auf BBC 1 eingeladen – mittels verträumter Synthesizer, eigenartiger Gesangs-Samples und chaotischer Drums kreiert das Duo einen nie dagewesenen, nur teilweise tanzbaren Sound, der sich landesweit in der Szene herumspricht und viele Nachahmer findet. Ebenso spielen die Brüder hier und da Konzerte im Vereinigten Königreich, großangelegte Tourneen bleiben allerdings aus: die Boards of Canada fühlen sich eher im Studio zuhause, wo sie auch ihre zweite Erfolgsplatte Geogaddi aufnehmen, welche 2002 durch die Decke geht. Neben Aphex Twin handelt man das Duo mittlerweile als Vorreiter der Intelligent Dance Music – und mittels düsterer Klangsphären, esoterischer wie satanischer Verweise in den einzelnen Tracks und einer Laufzeit von exakt 66:06 machen Marcus und Michael von sich reden. Gleichzeitig wandert ihre Debut-EP Twoism als Re-release durch Warp Records wieder in die Plattenläden und lässt Fanherzen höher schlagen. Das Album The Campfire Headspace ist 2005 fertig und klingt von der ersten Sekunde an organischer als alles zuvor, denn ihr kreativer Prozess ist vor allem auch ein von Bildern geprägter: „Normalerweise stellen wir uns vor, dass unsere Musik ein visuelles Element hat, während wir sie schreiben, also haben wir uns diese Figur vorgestellt, die am Lagerfeuer den Verstand verliert.“

Den Zusammenbruch zelebrieren

Wo die Band sich zuvor noch dem IDM verschrieben hat, stehen jetzt vermehrt Folktronica-Elemente und lassen eine neue, leichtere Seite des Duos hervorscheinen. Nach der Erfolgsplatte wird es allerdings still um die schottischen Brüder – erst 2013 machen sie sich wieder bemerkbar und werden in der Electronic-Szene dank ihrer Platte Tomorrow’s Harvest mit offenen Armen begrüßt. Um das neue Werk ranken sich allerlei Spekulationen, denn auf verschiedenen Radio- und TV-Sendern sowie auf YouTube werden rätselhafte Zahlenkombinationen mit kurzen Clips neuer Songs gestreut – all das, um ein Passwort zusammenzusetzen, mit dem sich das Album vorbestellen lässt. Hier mit futuristischen, da mit nostalgischen Elementen versehen, bildet Tomorrow’s Harvest schließlich einen weiteren Meilenstein für die ungeschlagene geteilte Spitze der elektronischen Musik. Dass ihre Musik dabei noch düsterer als zuvor klingt, ist den Boards of Canada bewusst: „Wir sind im Laufe der Jahre viel nihilistischer geworden. In gewisser Weise zelebrieren wir die Idee des Zusammenbruchs, anstatt uns dagegen zu wehren.“