Tyler The Creator HHV Records 15 Artikel

Kakerlaken als Schockfaktor

Tyler Okonma ist heute ein unumstrittener musikalischer Visionär. Stars wie Billie Eilish bekennen sich zu seinem künstlerischen Einfluss, und mit seinen aggressiven, manchmal verstörenden Lyrics erregt er als Tyler, the Creator früh in seiner Karriere Aufmerksamkeit. Der 1991 in Los Angeles geborene Rapper wächst ohne seinen Vater auf, und schon bald sucht er Zuflucht in der Musik – als Teenager bringt er sich selbst das Klavierspielen bei, 2007 gründet er zusammen mit Freunden die Odd Future Crew. Die Gruppe, in der sich auch spätere Größen wie Frank Ocean und Earl Sweatshirt finden, nimmt ein Jahr später ihr erstes Horrorcore-inspiriertes Tape auf und wird über die nächsten Jahre zu einer lokalen Bekanntheit. Ihr Track French geht auf YouTube viral, und 2009 folgt Tylers erstes Solo-Mixtape Bastard – seine Songs finden auch in der Presse Beachtung, und sie erzeugen bei der Britischen Jugend einen solchen Hype, dass die konservative Politikerin Theresa May dem Rapper ein Einreiseverbot für das Land ausspricht. Im Musikvideo für Yonkers isst Tyler zuerst eine Kakerlake und erhängt sich dann – der Streifen schockt 2011 das Internet. Mit seiner Crew unterschreibt er im gleichen Jahr beim Major-Label und tritt bei Jimmy Fallon auf.

Vom Horrorcore zur Hippie-Musik

„Kill people, burn shit, fuck school“ – Tyler hat es nicht so mit Zurückhaltung. Das zeigt sich auch auf seiner ersten Major-Platte Goblin, auf der er seine Horrorcore-Identität weiterhin auslebt: „Ich habe keinen Therapeuten, also bin ich mein eigener Therapeut, wenn ich Musik mache“, erklärt er seine lyrischen Ausschweifungen. Trotz seines Stardaseins hängt er aber auch noch mit der Odd Future Crew ab, die 2012 auf Adult Swim ihre eigene Serie bekommt. Mit der nächsten Platte Wolf chartet er sogar auf die Nummer Drei, und trotz Tylers stiltypischen Gore-Texte deutet das Album einen Gesinnungswechsel an: „Was mich jetzt interessiert, ist seltsame Hippie-Musik, zu der man high werden kann.“ Er liefert ein Konzeptalbum, dass ihn als Künstler diverser aufstellt als je zuvor, und auch findet sich hier neben seiner Crew eine Reihe an namhaften Gastmusikern wie Pharrell und Erykah Badu. Nach extensiven Touraktivitäten nimmt er 2015 wieder in kompletter Eigenregie die Platte Cherry Bomb auf und bietet gleich fünf verschiedene Coverartworks an. Mit der Hilfe von extensivem Sampling, dem Einfluss der Soulmusik, Features mit ASAP Rocky und Kanye West sowie Aufnahmesessions im Studio der Filmmusiklegende Hans Zimmer schafft er ein vor Kreativität sprühendes, manchmal chaotisches Werk – man weiß nie, was einen mit Tyler als nächstes erwartet.

Mehr als ein Rap-Album

Mit Flowerboy schlägt der Rapper 2017 Wellen, nachdem er sich in mehreren Textzeilen mehr oder weniger offensichtlich als homosexuell outet – der gleiche Tyler, dem vorher oft Homophobie in seinen Texten vorgeworfen wurde. Dem Rolling Stone hat er zwei Jahre vorher schon erzählt, er sei „gay as fuck“ – und auf Flowerboy reflektiert er jetzt eher innere Prozesse, versucht weniger, zu schocken. Auf der 2019 erschienenen Platte Igor drückt er sich noch deutlicher aus: es geht um Liebe und Eifersucht, in Promovideos verkleidet er sich und folgt dem Albumkonzept einer düsteren Seite seiner Selbst, die in verschiedenen Tracks immer wieder durchschimmert. Dafür erhält er einen Grammy Award für das beste Rap-Album, doch er hat gemischte Gefühle über den Preis: die Urban-Kategorie für seine Musik sei nichts weiter als ein politisch korrektes N-Wort, zu genreübergreifend sei seine Musik eigentlich. Zwei Jahre später erscheint sein Album Call Me If You Get Lost und verschafft ihm allerdings einen weiteren Grammy: die Platte folgt wieder einem Konzept, ist musikalisch breit gefächert, und vor allem introspektiv. Die Linie zwischen Alter Ego und authentischem Ich verschwimmt oft, und wir hören Tyler hier voller Ehrlichkeit.