Freddie Gibbs HHV Records 11 Artikel

Vom Ghetto ins Studio und zurück

Aufgewachsen in Gary, Indiana, umgeben von Kriminalität und Perspektivlosigkeit, fliegt der 19-jährige Freddie Gibbs Anfang der 2000er vom College und fängt einen Job in einer Mall an. Dort begegnet er einem lokalen Producer, der ihn dazu bringt, es als Rapper zu versuchen: selbstverständlich schaut Gibbs seit Ewigkeiten zu seinen Idolen 2Pac, B.I.G. und Jay-Z auf – an das Schreiben eigener Texte traut er sich aber erst jetzt heran. 2004 kommt er mit seinem ersten Mixtape Full Metal Jackit aus dem Studio, und es beweist: Gibbs hat etwas zu sagen, und seine tiefliegende Stimmfarbe verleiht den Geschichten aus dem Ghetto einen einzigartigen rauen Touch. Das beeindruckt auch den neuen A&R beim Major-Label Interscope Records, denn Gibbs wird unter Vertrag genommen und bekommt für sein Debutalbum glatt eine Viertelmillion Dollar Vorschuss. Von jetzt auf gleich sitzt er nicht mehr im Ghetto, sondern mit Profis im Studio – und von hier aus könnte das der Twist in der im Hip Hop allseits beliebten Erzählung sein, die im Ghetto beginnt und auf den größten Bühnen der Welt endet. Ganz so einfach wird es für Freddie Gibbs nicht: sein A&R-Kontakt verlässt Interscope, das Label zweifelt an der Marktfähigkeit seines Stils, und der Rapper fliegt raus – von jetzt auf gleich wieder ins Ghetto.

Zwischen Indie und Gangstarap

Beinahe wieder am Nullpunkt angekommen, veröffentlicht der keineswegs demotivierte Gibbs weiter Mixtapes in Eigenregie, und vor allem mit Midwestgangstaboxframecadillacmuzik und The Miseducation of Freddie Gibbs schlägt er Wellen, bis er 2011 beim Indie-Label CTE World aufgenommen wird. Im gleichen Jahr erscheint das Mixtape Cold Day In Hell, auf dem er Seite an Seite mit 2 Chainz, Juicy J und Jeezy performt – und jetzt schauen sogar die führenden Musikmedien genauer hin. Gibbs‘ Name infiltriert die Kulturblogs und –zeitschriften der Nation: der Rapper baut sich seinen Hype im Internet einfach selbst auf, fernab des traditionellen Major-Label-Wegs. 2 EPs in Zusammenarbeit mit Beat-Legende Madlib folgen und überzeugen sogar alteingesessene Hip Hop-Fans vom Talent des Indie-Rappers. Sein bei Fans beliebtes 2012er Mixtape Baby Face Killa zeigt ihn gemeinsam mit Größen wie Jay Rock, Curren$y und Young Jeezy, die klar sein Revier im Indie-Gangstarap markieren: Freddie Gibbs hat seine Nische gefunden und besetzt sie, komme was wolle. Das beweist auch sein Debutalbum ESGN, vor dessen Release er sich allerdings vom CTE-Label trennt, um seine eigene Plattenfirma aufzuziehen. Das heiß erwartete Kollabo-Album Piñata, für das er sich wieder gemeinsam mit Madlib ins Studio eingeschlossen hat, erscheint ein Jahr später und landet in unzähligen Bestenlisten des Jahres 2014.

Das richtige Gefühl für die Musik

Wieder einmal musikalisch und thematisch divers zeigt der Rapper sich auf seinem zweiten Soloalbum Shadow of a Doubt im Jahr 2015, immer auf der Suche nach neuen Perspektiven, um seine steinige Geschichte zu erzählen. Kurz darauf steht seine Karriere still, nachdem man ihn Frankreich wegen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs verhaftet und nach Österreich zerrt. Aufgrund mangelnder Beweislage ist der Rapper dann allerdings wieder auf freiem Fuß und veröffentlicht 2017 die Platte You Only Live 2wice, die zum weiteren Erfolg avanciert und ihn mit immer noch jugendlicher Energie zeigt – ohne jegliche Promo bringt er dann Freddie heraus, mit dessen Cover er das Teddy-Pendergrass -Album Teddy parodiert und auf dem er gleichzeitig eine Ladung an basslastigen Trap-Tracks vereint. Gemeinsam mit seinem Freund The Alchemist, den er noch aus den alten Interscope-Tagen kennt, nimmt er über die Jahre zwei Platten auf, wie auch eine weitere mit Madlib. 2020 wird er schließlich bei Warner Records aufgenommen, was dem Internetphänomen noch mehr Reichweite für sein erstes Major-Album Soul Sold Separately verschafft. Und trotz seiner silbenreichen Lyrics macht er klar, dass er die Worte mit Bedacht wählt: „Ich wäre mucksmäuschenstill, wenn ich nicht das richtige Gefühl für meine Musik hätte.“